Schulterblick
Biodynamik als ganzheitliches Gesundheitssystem im Weinbau
Helmuth Zozin - Direktor
Rudolf Steiner hat uns die Biodynamik als ganzheitliches Gesundheitssystem für die Landwirtschaft hinterlassen. Die Grundidee der biodynamischen Landwirtschaft fußt auf dem Stärken aller Lebenskräfte in Harmonie und synergetischem Zusammenspiel.
Die Anfänge der Biodynamik
Vor mittlerweile fast 100 Jahren haben der Anthroposophie nahestehende Landwirte Rudolf Steiner gebeten, auch etwas für die kränkelnde Landwirtschaft zu tun. Viele Landwirte merkten in der Zeit um und nach der Jahrhundertwende ein Nachlassen der Reproduktionskräfte der Kulturpflanzen und eine immer niedrigere Qualität in ihren Produkten.
Dieser biologische Abbau war dem aufkommenden Einsatz von anorganischen Düngemitteln geschuldet. Die anthroposophischen Landwirte waren jedenfalls verunsichert und baten Rudolf Steiner um Hilfe. Nach langem Bitten präsentierte er in der Pfingstwoche des Jahres 1924 auf dem Landgut des Grafen Keyserlingk in Koberwitz im heutigen Polen die Grundlagen der anthroposophischen Landwirtschaft.
Bei einer achttägigen Vortragsreihe erklärte Rudolf Steiner einerseits das Wirken der lebendigen Kräfte der Natur und präsentierte den rund 100 anwesenden Bauern dann ein Konzept zur Verbesserung und Gesundung der Landwirtschaft.
Es mag uns Schwierigkeiten bereiten, dass seine Anleitungen und Präparate auf seinen hellseherischen Erkenntnissen fußen. Sie haben sich in der Praxis jedoch weltweit bewährt, und das ist, was zählt. Gerade Bauern sind praxisorientiert und beobachten genau, welche Resultate bestimmte Maßnahmen bringen.
Die Arbeit auf dem Feld ist schwer genug, als dass man sie gerne umsonst machen würde. Bauern und Bäuerinnen machen nur das mit Freude und auf Dauer, was ihnen sinnvoll erscheint. Die biodynamische Landwirtschaft hat sich bewährt und etabliert, sie wird mittlerweile auf über 160.000 ha in 60 Ländern weltweit praktiziert.
Im Weinbau angekommen
Gerade der Weinbau ist durch seinen enormen Qualitätsanspruch und wegen der Fragilität unserer alten europäischen Rebsorten prädestiniert für die feinen Wirkungen der Biodynamik.
Für erstklassigen Wein sind perfekt gereifte, gesunde und hocharomatische Trauben mit knackiger, dicker Beerenhaut die Voraussetzung. Dazu kommt eine perfekte Balance zwischen Zucker und Säure. Der Wein soll Ausdruck der landwirtschaftlichen Individualität sein: Boden, Klima, Jahrgang und nicht zuletzt der Weinbauer sollen den Charakter des Weins prägen.
Der Weg führt in meinen Augen nur über biologischen Anbau in Toplagen, bearbeitet in akribischer Handarbeit. Die Biodynamik ist der Königsweg. Sie ersetzt keineswegs alles andere, schafft aber eine Art Verbindung aller positiven Kräfte zu einem harmonischen Ganzen.
Die Bedeutung der Präparate
Mit der Biodynamik verbindet man in erster Linie die beiden Spritzpräparate, den Hornmist oder 500er und den Hornkiesel oder 501er. Diese beiden Präparate sind meiner Meinung nach nicht die Basis, sondern die feinstoffliche Krönung der Biodynamik. Bevor man mit diesen Präparaten dem Zusammenwirken der Naturkräfte den letzten harmonisierenden Schliff gibt, muss man ein gesundes, vitales Grundsystem geschaffen haben. Im Weinbau steht und fällt alles mit der richtigen Rebsorte am geeigneten Standort. Diese Kombination muss passen, sie ist die Grundvoraussetzung für große Terroirweine.
Vitalität: Boden & Biodiversität
Die zweite Voraussetzung ist die Vitalität, und diese steht auf zwei Säulen: dem gesunden Boden und der Biodiversität. An diesen beiden Faktoren muss man in einem Weinberg kontinuierlich arbeiten.
Der gesunde Boden lebt vom Humusaufbau, der Humus verlebendigt das Erdreich. Vielfältige Begrünungen, jährliche Kompostgaben und schonende Bodenbearbeitung fördern den Humusaufbau und damit das Bodenleben. In einem solch lebendigen Boden können sich die Wurzeln unserer Reben weit ausbreiten und finden alles, was sie brauchen, um gesundes Wachstum zu generieren. So kommen unsere Reben sowohl mit anhaltenden Trockenperioden als auch mit intensiven Niederschlägen besser zurecht.
Die Biodiversität fördern wir einerseits im Weinberg selbst, indem wir die Begrünung immer wieder erneuern und so vielfältig wie möglich gestalten. Und wir gestalten das Rundherum so natürlich wie möglich. Hecken, Büsche, Wälder, aber auch Haus- und Wildtiere spielen eine wichtige Rolle. Die Vielfalt ist der allgemeinen Gesundheit förderlich.
Natürlich darf und muss man regulierend eingreifen und alles im gesunden Rahmen zu halten. Es gibt in der Natur an sich nichts Schlechtes, nur zu viel von einem Element, im falschen Moment, am falschen Ort. Man muss ein Gespür dafür bekommen, was in welchem Maße dem synergetischen Zusammenspiel guttut.
Der Mensch im Weinberg
Die dritte Voraussetzung ist die akribische Arbeit bei allen notwendigen Eingriffen. Besonders im ökologischen Weinbau muss jede Maßnahme zeitgerecht und handwerklich gekonnt erfolgen. Man hat nicht die Mittel der konventionellen Landwirtschaft, mit denen man im Nachhinein noch korrigierend eingreifen kann.
Rebschnitt, Triebe ausbrechen, Laubarbeit, selektive Handlese, jeder Arbeitsschritt ist für uns essenziell und verlangt akribische Aufmerksamkeit.
Allein der Rebschnitt ist eine Kunst für sich. Um diesen an sich drastischen Eingriff zugleich präzise und delikat im Respekt der Saftflüsse zu machen, bedarf es großen Könnens und reichlicher Erfahrung. Ein falscher Schnitt kann in puncto Lebensdauer der Rebe fatale Folgen haben.
Es kommt also auf das Zusammenspiel vieler Faktoren an, auf viele kleine Schritte, die wir achtsam setzen.