Flower Power im Weinberg

Unser Leben mit Kräutern, Gräsern, Blumen

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Grün, Gelb, Braun und Grau, viel Grau – das waren früher einmal die Farben unserer Weinberge. Tempi passati! Im Sommer wächst und blüht es zwischen den Rebzeilen so, dass es für Bienen, Schmetterlinge und andere Weinbergbewohner ein Glückstreffer ist: Lila, Weiß, Blau, Pink, Orange und viele, viele Grünschattierungen erfreuen uns. Schön sieht das aus.

Finden wir alle, die sich auf der Terrasse zum Mittagstisch von Familie Goëss-Enzenberg in Manincor eingefunden haben. Es ist ein Tag Anfang Oktober, und er löst alle Versprechen ein, die Südtirol im Herbst macht. Ein Himmel in Azur, eine Sonne, stark genug für kurze Ärmel und sanft genug für strahlende Farben, es riecht nach Erde.

Ein Mittagessen als Einstimmung auf ein Gespräch über ein Herzensthema von Gräfin Sophie. Es gibt eine Schale Brennnesselsuppe mit einem Tupfer Schlagsahne als Gruß aus der Küche, einen Brennnesselsalat mit gerösteten Walnüssen, ein Kräuterrisotto, Kastanienreis als Nachtisch. Als Gast der Grafenfamilie kommen auch Fotograf und Autorin in den Genuss der Weinbegleitung. Die Walnüsse kommen vom Baum im Hof, die Kräuter sind selbst gezogen, die Brennnesseln hat Gräfin Sophie in der Talwiese gestern beim Spaziergehen mit dem Hund gesammelt.

So gestimmt, mit glücklichem Bauch und einem Lächeln, beginnt ein Gespräch über all das, was im Weinberg wächst – außer den Reben.
„Lässt man es, dann wächst natürlich einiges von selbst. Wichtig ist zu wissen, dass die Flora im Weinberg ein Spiegel der Bodenqualität ist. Vor zwanzig Jahren gab es hier Löwenzahn und sonst nicht viel. Heute ist das ganz anders.“

Kurz ausgeholt. Kräuter, ihre Heilwirkung und ihr Geschmack waren Gräfin Sophie schon immer wichtig bei der Versorgung ihrer Familie. Gesundheitliche Probleme wurden und werden noch immer zuerst mithilfe natürlicher Mittel bekämpft und gelindert.

„Der Schritt mit den Kräutern von der Familie hinaus in den Weinberg war nur logisch. Alles fiel an seinen Platz. In der Biodynamie schaffen wir die Bedingungen dafür, dass die Reben an Vitalität und Widerstandskraft gewinnen. Die Begrünung ist wesentlich dafür.“

Ein Schritt, den wir an diesem sonnigen Nachmittag nun auch machen. Es wird ein kurzer Spaziergang, wir lassen uns Zeit, schauen genau. Aus dem undefinierten Grün lösen sich viele Pflanzen heraus, schaut man nur lange und geduldig genug. Gräfin Sophie kennt viele von ihnen und weiß über sie zu erzählen.

Spontan oder geplant? Wir sind als Biodynamiker zwar von natürlicher Spontaneität überzeugt – wie man an der Spontanvergärung der Weine im Keller sieht. Die Flora im Weinberg bleibt im Regelfall dennoch nicht sich selbst überlassen.

Einerseits gibt es im Weinberg die sogenannte Spontanbegrünung. Samenreste im Boden und solche, die Wind, Mensch und Tier in den Weinberg bringen, gehen auf, wenn sich die Gelegenheit bietet. Diese Arten müssen für den Weinbergboden und die Reben nicht unbedingt zuträglich sein.

Andererseits gestalten Weinbäuerinnen und -bauern aktiv die Begrünung in ihren Weinbergen. Eine klug durchdachte Einsaat kann das Bodengefüge verbessern und die Durchwurzelung fördern.

Biologische Bodenpflege. Es gibt Pflanzen mit tief reichenden Wurzeln, die Kanäle nach unten bilden. Vertrocknen diese Pflanzen, bleiben feine Kanäle, und Wasser kann bis weit hinunter ins Erdreich sickern. Ein Vorteil in den langen, heißen Sommermonaten ins unserer Gegend am Kalterer See. Gewitterregen hilft in diesem Fall nicht viel, weil die hohe Menge an Wasser abrinnt und nicht durch die feinen Kanäle nach unten sickert.

Eine Weinbergbegrünung wird aus verschieden hohen Pflanzen komponiert. Ihr Schatten schützt die Oberfläche des Bodens vor dem Austrocknen. Zudem dämpfen sie die Bodenerosion. Hochaktive Mikroben und eine symbiotische Vielfalt in der Wurzelzone bewirken, dass die Reben Mineralstoffe effizienter erschließen können.

Fauna & Flora. Eine bunte „Wiese“ zwischen den Rebzeilen ist neuer Lebensraum für Insekten und alle Arten von Bodenlebewesen. Biodiversität gilt als eine der Grundlagen für das biodynamische Arbeiten. Je mehr verschiedene Arten im Weinberg leben, desto besser ist der Schutz gegen eventuelle Schädlinge oder Pathogene. Gut für die Reben, gut für den Wein.

„Im Herbst nach der Ernte säen wir in jeder zweiten Rebgasse eine Saatmischung ein, nachdem wir den Boden aufgelockert haben. Im Jahr darauf wechseln wir, die vorher begrünte Rebgasse bleibt frei für Durchfahrten.“

Die Qualität des Weinbergbodens ist ausschlaggebend für das Begrünungskonzept. Es gibt mehrjährige oder Teilzeitbegrünungen und die unterschiedlichsten Saatmischungen. Die Begrünung soll dem Boden und damit den Reben wohltun und darf nicht existentiell mit den Reben um Wasser und Nährstoffe konkurrieren.

„Eine spontane, natürliche Begrünung wäre schön, ist aber noch nicht machbar. Wir dürfen hoffen: Nach einem Jahr Begrünungspause zeigte sich im Sommer 2022, welche Pflanzen von selbst wiedergekommen sind. Das war eine große Freude.“

Im Herbst nach der Ernte ist die Arbeit im Weinberg nicht zu Ende. Der Boden wird gelockert, dann säen wir die gewählte Mischung ein. Ein Experiment im Jahr 2021 ohne Einsaat hat gezeigt, dass sich einige Samen noch im Erdreich befanden. Leider nicht genug, um den gewünschten Effekt auf die Bodenqualität und den Humusaufbau bewirken zu können.

In Manincor verwenden wir eine individuelle, an den Standort angepasste Saatmischung. Viele verschiedene Kräuter und Gräser, von kleinwüchsigen Bodendeckern bis hin zu hohen schlanken Halmen wachsen zwischen den Rebzeilen. Sie schenken der Erde Wurzeln, Samen und Blätter, und manche schenken uns allen hübsche Blüten oder ihre Heilkraft.

Wir gehen ein Stück weiter. Gräfin Sophie zeigt uns Hagelschäden an den Blättern und Rebstöcken. Noch immer ist das Kellerteam beseelt vom Glück, trotz des widrigen Wetters derart viele, wunderbare Trauben in den Keller gebracht zu haben.

Nahrung für den Boden. Die Begrünung und die fleißigen, vielbeinigen Weinbergbewohner arbeiten beständig für die Qualität des Bodens. Zusätzlich bekommt der Boden auch – selbstverständlich in Manincor hergestellten – Kompost als Nahrung. Gräfin Sophie spürt noch einen Rest davon auf.

„Bei meinen Führungen durch die Gärten erzähle ich von all den Lebewesen, die hier für uns arbeiten und das Wunder Jahr für Jahr möglich machen. Wenn ich den Kompost zeige, sind Besucherinnen und Besucher erstaunt, wie aromatisch, kraftvoll und erdig-frisch er duftet. Anders als erwartet.“

Zurück im Haus blättert Gräfin Sophie in einem wertvollen restaurierten Heilkräuterbuch aus dem 16. Jh., ein Geschenk der Großmutter an die stets so kräuterbegeisterte Enkelin. Manche Kräuter im Buch erkennt man an den detailreichen Illustrationen, andere kennt man kaum mehr. Und wieder andere wachsen noch immer munter im Weinberg und sind wertvolle Mitarbeiterinnen unserer biodynamischen Landwirtschaft.

Pflanzenportrait: Spitzwegerich, Plantago lanceolata L.

Als essbare Heilpflanze und gesundes Wildkraut ist der Spitzwegerich in Manincors Weinbergen sehr willkommen. Seine bis zu 60 cm tief reichenden Wurzeln lockern den Boden. So kann er bis tief hinunter wertvolles Wasser für die trockenen Sommermonate aufnehmen. Mit seiner Wuchshöhe von 10 bis 50 cm trägt er zu Beschattung des Bodens bei.
Gräfin Sophie verwendet den Spitzwegerich bei Atemwegserkrankungen und als Heiltinktur für die Haut. In der Volksmedizin hat der Spitzwegerich seit der Antike seinen Platz. Im Mittelalter nutzte man ihn als Gegenmittel bei unerwünschtem Liebeszauber.

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Pflanzenportrait: Phacelia; weitere Namen Büschelschön, Bienenfreund

Die Phacelia ist ein willkommenes Geschenk der Flora an unseren Weinberg und fixer Bestandteil der jährlichen Begrünung. Ihre Wurzeln sind dicht und nehmen Nährstoffe aus dem Boden auf, die sie nach der Verrottung leicht wieder abgeben. Das bedeutet: Der Boden wird verbessert, Bodenmüdigkeit abgewendet. Die Phacelia beschattet den Boden und unterdrückt unerwünschte Pflanzen.
Als „Bienenfreund“ versorgt sie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge mit Pollen und Nektar. Und wir finden: Die hübschen lilafarbenen Blüten sind eine wahre Verführung.

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Potpourri der Pflanzen im Weinberg

Biodiversität haben wir als biodynamisch arbeitendes Weingut verinnerlicht. So wachsen in unseren Weinbergen Heil- und Wirkkräuter, Gräser und Blumen sonder Zahl. Ein kleiner Auszug: Malven, Wicken, Beifuß, Spitzwegerich, Breitwegerich, Ampfer, Amaranth, Leinkraut, Klee, Feldsalat, Veilchen, Hirse, Schafgarbe, Lichtnelke, Phacelia, Königskerzen, Disteln, wilder Salbei.
In jedem Weinberg wächst außerdem mindestens ein Rosenbusch. Rosen sind wertvolle Zeigerpflanzen und verraten uns viel über die Bodenbeschaffenheit.

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Aus dem Weinberg in die Küche

Ob aus Einsaaten oder vom Wind in unsere Weinberge geweht: Der Großteil der Pflanzen, die neben den Trauben in unseren Weinbergen wachsen, schmeckt gut. Nicht jedem und nicht alles. Bienen, Käfer, Würmer – sie alle finden hier ihre Lieblingsspeise.
Für menschliche Gaumen hat manches einen seltsamen Geschmack. Anderes nimmt Gräfin Sophie direkt mit und zaubert daraus einen feinen Salat. Oder ein Risotto, eine Suppe, einen Aufstrich. Vieles wird getrocknet, manches in Öl oder Alkohol eingelegt oder zu Cremes verarbeitet.

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